11.11.2010 Die Hektik bleibt draussen

Heute früh heißt es, von den anderen Abschied zu nehmen. Susi fährt noch Richtung Fuji und Tokyo, die beiden anderen nach Hause bzw. nach Thailand. Ich aber fahre ins Kloster.

Mit der Keihan-Bahngesellschaft geht es wieder zurück nach Osaka, diesmal zum Yodoyabashi-Bahnhof, von dort aus per U-Bahn zum Namba-Bahnhof, wo die Nankai-Dentatsu-Gesellschaft eine Bahnlinie nach Gukurakubasghi betreibt. Von dort geht es per Standseilbahn hinauf auf die Koya-san-Hochebene. Diese ist wie eine Lotusblüte von acht Bergen umgeben, was der Grund war, dass ab dem Jahr 816 Tempel und Schreine gebaut wurden.

Schon die Anreise ist spektakulär. Für die nicht mal 100 Kilometer ist man mit Bahn, Standseilbahn und Bus über 2 Stunden unterwegs. Zunächst geht es durch die Vororte Osakas, an Spielhallen, Einkaufszentren und Fabrikruinen vorbei. Irgendwann wird die Bebauung lockerer, dann tauchen links und rechts Bergzüge auf. Quietschend und kreischend fährt die Bahn die engen Radien immer weiter nach oben. Die Bahnhöfe unterwegs liegen teilweise 100 Meter über den Ortschaften. Die Zahl der Tunnel und Brücken lässt sich gar nicht mehr zählen. Mit Mühe überholen wir einen Fußgänger. Dann kommen wir endlich an der Endstation an, die gefühlte 1.500 Meter hoch liegt. Überraschenderweise haben wir aber gerade mal 539 Meter erreicht.


Von hier bringt mich eine Standseilbahn nach oben, wo dann wiederum drei Busse warten. Ich nehme den Bus in östliche Richtung, zum Kloster Shojoshin-in, wo ich die kommende Nacht verbringen werde. Nach 15 Minuten und gefühlten 1.000 Haarnadelkurven stehe ich vor "meinem" Kloster, dem Shojoshin-in Temple. Beim Anblick des Klosters kommt Vorfreude auf, die nicht enttäuscht werden sollte.



Ein Mönch empfängt mich, bittet mich, die Schuhe auszuziehen und organisiert mir ein paar große Schlappen (oder was in Japan als “groß” gilt). Bei der Anmeldung erläutert er mir, dass es um 17:30 Uhr Abendessen gibt, dazu bekomme ich einen Anruf und soll runter in die Halle kommen. Das Bad könne von 16 bis 21 Uhr genutzt werden. Ab 17 Uhr sind alle Tore bis auf eine winziges geschlossen (1 Meter hoch). Bei Interesse könne ich gerne an der Morgenzeremonie um 6:30 Uhr teilnehmen, anschließend gibt es Frühstück.


Er bringt mich hoch in mein Zimmer in der 2. Etage. Als er die Schiebetür öffnet, wir die Schlappen abstellen und mit Socken den Raum betreten, bin ich sprachlos: 2 große Räume, durch Shoji, also Raumteiler getrennt, die Fenster wohl aus Maulbeerpapier. Ich fühle ich mich wie in einem Spielfilm oder in einem anderen Jahrhundert. Der Boden ist komplett mit Tatami-Matten ausgelegt. Während ich beim Abendessen bin, wird ein Futon mit drei dicken Decken zum Schlafen ausgelegt. Rechts habe ich einen eigenen Schrein, daneben Teekocher und Heizstrahler. Mittelpunkt des zweiten Zimmers ist ein etwa 30 cm hoher Tisch, umgeben von mehreren Sitzkissen und einer dicken Tischdecke, die bis zum Boden geht: Ein tibetanischer Ofen sorgt hier für Wärme. Den Ofentyp kenne ich ja bereits aus Nepal. Man steckt seine Beine unter den Tisch, die dank des Ofens schön warm bleiben. Von diesem Tisch aus habe ich einen unglaublichen Blick auf den kleinen Zengarten und auf die Berge.



Eigentlich will ich gar nicht weg aus meinem Zimmer, viel zu schön hier. Aber, was soll’s? Ich will ja auch etwas sehen. Also raus aus dem Zimmer (Türen lassen sich nicht abschließen), Hausschlappen angezogen, rüber zur Toilette, Hausschlappen ausgezogen, Toilettenschlappen angezogen. Mein Gott! Diese Toilette hat ja noch viel mehr Funktionen, als die in Kyoto. Angenehm beheizt ist die Klobrille auch noch. Die Mönche haben Stil. Als ich mein Geschäft erledigt habe, raus aus den Kloschlappen (das WC ist übrigens auch nicht abschließbar), rein in die Hausschlappen. Der Zengarten lockt, also raus aus den Hausschlappen, rein in die Gartenschlappen. Als ich das Haus schließlich verlasse, wechsle ich die Hausschlappen wieder gegen meine Treckingschlappen äh, -schuhe.



Ich besuche den Garan, den heiligen Bezirk, mit seinen Pagoden und Hallen. Die große Pagode wurde erst kürzlich neu gestrichen; das Rotbraun auf den weißen Mauern mit den Herbstfarben drum herum machen sich sehr gut. Man merkt, dass wir auf gut 900 Meter Höhe sind, überall gelb und rot, vor allem auch der japanische Ahorn mit seinen kleinen 2-3 cm großen Blättern.



Überhaupt das Wetter: Bis jetzt war es immer trocken, die ersten Tage tagsüber um die 20 Grad, in Kyoto Anfangs knapp 30 Grad, gestern um die 10 Grad. In Kyoto war es heute früh wieder so an die 20 Grad, hier oben dürfte es eher 10 Grad warm sein.

 Punkt 17:30 Uhr klingelt mein Telefon, ich möchte mich bitte zur Halle hinunterbegeben. Dort führt man mich in meinen privaten Essraum, etwa 15 bis 20 qm groß, mit Tatami-Matten ausgelegt und mit zwei je 10 cm hohen Tischen in der Mitte und einem Sitzkissen davor. Ein Dutzend Tässchen und Töpfchen warten darauf, von mir geleert zu werden. Während ich noch überlege, womit ich anfange, kommt ein Mönch auf Knien ins Zimmer und bringt noch mehrere Töpfe mit warmen Speisen und einem Kännchen mit Tee. 



Schaut alles unglaublich lecker aus. Es handelt sich übrigens um ein vegetarisches buddhistisches Essen, also ohne Fleisch, ohne Fisch und (das ist der Unterschied zu uns) ohne Knoblauch. Schmeckt auch alles sehr gut, obwohl es zuweilen etwas eigen aussieht. Natürlich gibt es Reis, nicht fehlen können in Japan Bohnen, in diesem Fall kleine rote. Verschiedene Sorten Tofu, dann wohl yuba (abgeschöpfte Sahne von Tofu), kleine weiße Pilze mit dünnen blauen und roten Linien, wildes Gemüse, Nudeln in einer Brühe, und etwas, das ich zum ersten Mal sehe, aber schnell zu schätzen lerne: Tempura, Gemüse, das in einem lockeren Teigmantel frittiert wurde. Hinzu kommen weitere Töpfchen mit gut schmeckendem, aber nicht definierbarem Essen.



Da es in Privathäusern, Ryokans (japanischen Gasthäusern) und Klosteranlagen keine abschließbaren Türen gibt, macht das mit den Schlappen seinen Sinn. Wenn vor meinem Zimmer die Schlappen stehen, weiß jeder, dass ich im Zimmer bin. Wenn Schlappen vor der Toilette stehen, weiß man, dass die Toilette besetzt ist. Theoretisch zumindest. Als eine Amerikanerin mit ihren Hausschlappen den Thron besteigt, musste es kommen, wie es gekommen ist. Ich komme vom Essen, ah, die Toilette ist frei, mache die Tür auf und ein Schrei erfolgt, definitiv nicht von der High-Tech-Toilette! War recht geladen die Lady, als sie rauskam. Das Ende vom Lied: Sie entschuldigt sich bei mir für die inadäquate Benutzung der Hausschlappen.

Ich muss mir angewöhnen, die täglichen Erlebnisse kürzer zu fassen, eine Story möchte ich Euch aber nicht vorenthalten: Nachdem ich nach Einbruch der Dunkelheit noch mal im Garan war, wo die verschiedenen Pagoden beleuchtet waren, nehme ich noch ein Bad. Ich hatte mich im Vorfeld eingelesen, so dass ich mich nicht laufend vollständig blamiere (Danke, Uschi, für das Buch "Gebrauchsanweisung für Japan", ist äußerst hilfreich). Ich ziehe also meine Yakuta an, eine Art dünner Bademantel, nehme meine zwei Handtücher und gehe ins Bad. Nach dem Blick aus meinem Zimmerfenster auf den Zengarten meine zweite meditative Erfahrung heute. Vor mir eine große Holzbadewanne, edel und elegant. Aber auch groß und tief. Zum ersten Mal in meinem Leben (zumindest seit ich meine Sollgröße erreicht habe), kann ich in einer Badewanne meine Beine ausstrecken und bekommt auch mein Oberkörper genug Wasser ab.

Aber vor der Kür kommt erst noch die Pflicht. Ich setze mich auf einen kleinen Hocker, seife mich ein, spritze mich ab. Das Wasser der Badewanne wird nicht gewechselt, deshalb macht man sich sauber, bevor man sich in die Wanne setzt.

Heute bin ich endgültig in Japan angekommen!


12.11.2010: Zurück in die "Zivilisation"

Draußen fängt es an, zu dämmern. Die drei Priester mir gegenüber rezitieren etwas aus einer buddhistischen Schrift, an passender Stelle unterbrochen durch das Schlagen eines Gongs, die Benutzung einer Klangschale oder das vibrierende Gegeneinanderschlagen zweier Becken.

Es ist 6:30 Uhr und ich bin in der Zeremonienhalle des Klosters zur Morgenandacht. Ist auch nicht "spannender" als bei der katholischen Messe, aber es ist halt ganz anders. Anschließend gibt es Frühstück, auch diesmal wieder mit Exotischem, Unbekanntem oder Undefinierbarem- Hauptsache, es schmeckt!

Nach dem Frühstück habe ich noch etwas Zeit, den Oku-no-in nebenan zu besuchen. Dieser Friedhof erstreckt sich über einen Kilometer in West-Ost-Richtung. Hier sind die sterblichen Überreste zahlreicher Buddhisten beigesetzt (zumindest einiger Haarsträhnchen), damit sie die Ankunft des Miroku-Buddha auf der Erde aus nächster Nähe miterleben. Außer mir sind kaum Leute da, kaum ein Sonnenstrahl kommt durch die Äste, es ist feucht, überall wächst Moos, Nebel wabert zwischen den Bäumen. Eine ganz eigenartige Stimmung.



Interessant auch, von wem hier Gedenkstätten errichtet wurden, etwa ein Termiten-Gedenkstein, gestiftet von einem Hersteller von Insektiziden, das auf diesem Weg den Mord an Milliarden dieser Kriechtiere sühnen will. Auch an einem Gedenkstein von Honda laufe ich vorbei. Sühne für eine Rückrufaktion?

Die Japaner haben übrigens ein entspanntes Verhältnis zur Religion, 86% sind sowohl Shintoisten als auch Buddhisten! Ich glaube, wenn jemand gleichzeitig Christ und Moslem wäre, wären zumindest dessen Mitmenschen deutlich weniger entspannt. Das entspannte Verhältnis ist wohl in erster Linie darauf zurückzuführen, dass der Shintoismus mehr auf das Diesseits (z.B. Geburt, Hochzeit, beruflicher Erfolg) und der Buddhismus mehr auf das Jenseits (Bestattungen) gerichtet ist. Weil es so romantisch ist, heiraten die meisten Paare in Japan mit einer christlichen Zeremonie (bevor sie im Schrein bestätigt wird). Auch Weihnachten wird gefeiert, je kitschiger, desto schöner.

Der Bus fährt mich wieder zur Bergstation der Standseilbahn. Per Nankai-Linie geht es mit Umsteigen wieder zum Bahnhof Osaka-Namba, von dort per U-Bahn zum Bahnhof nach Shin-Osaka, wo ich in den Shinkansen nach Okayama steige, um dort in einen Bummelzug der Sony-Linie nach Kurashiki umzusteigen.



Kurashiki ist ein nettes Städtchen mit alten Lagerhäusern an einem Kanal. Die Japaner sind hin und weg, ich finde es ganz nett. Allemal ist die Stadt ein guter Ausgangspunkt für mein nächstes Reiseziel, die Insel Shodo-Shima, in der Inlandssee zwischen den Hauptinseln Honshu und Shikoku gelegen.

Das Hotel Resol Kurashiki ist von außen, noch mehr als die meisten japanischen Hochhäuser, eine Beleidigung für das Auge, innen ist es aber recht komfortabel. Zum Essen geht es in ein Lokal in einer Seitengasse, das schöne Essens-Modelle im Schaufenster stehen hat. In Japan wird man immer vom Kellner zu einem Tisch geführt. Ich ziehe also meine Schuhe aus, setze mich im Schneidersitz hin und bestelle erst einmal ein Bier. Das produziert die Kneipe selbst und nutzt dazu eine Anlage von Kaspar Schulz aus Bamberg. Da ich mit der Speisekarte nicht klar komme, bitte ich den Chef, mal mit mir vor die Tür zu gehen. Dort werden wir uns schnell handelseinig, als ich ihm im Schaufenster mein Wunschgericht zeige: Total leckere Tempura (Krabben, Fisch, Fleisch und vor allem Gemüse frittiert), dazu eine Schüssel Udon, also Nudeln. Hier sind sie noch länger, jede Nudel über einen Meter lang. Ungelogen! Ich schaue mich näher im Lokal um und stelle erstaunt fest, dass außer mir nur noch zwei Russen auf dem Fußboden an Kurzbeintischen sitzen, die Japaner sitzen alle an normalen Tischen. Dort ist aber kein Platz mehr frei, weshalb eine sechsköpfige japanische Gruppe das Lokal verlässt, weil sie nicht am Boden sitzen will.- Wie bitte?!?!

13.11.2010 Auf in die Ägäis

Via Okayama geht es nach Takamatsu, auf der Insel Shikoku gelegen. Als ich meiner Sitznachbarin eine Frage stelle, was auf meiner Fahrkarte eigentlich drauf steht, muss sie ihren Vater zu Hilfe holen. Dessen Großvater ist Anfang des 20. Jahrhunderts nach San Francisco ausgewandert, wo die Familie heute noch lebt. Es ist der erste Besuch der Frau und ihrer Eltern in Japan. Man merkt, wie aufgeregt sie sind, in das Dorf ihrer Vorfahren zu kommen.



Über die unendlich lange, 1988 fertiggestellte Seto-ohashi-Brücke ist die Verbindung zwischen den Inseln Honshu und Shikoku ein Katzensprung. Takamatsu ist bislang die einzige moderne japanische Stadt, die ich gesehen habe, mit einem architektonisch interessantem Ortszentrum, wo es auch so etwas wie einen öffentlichen Raum gibt. Am 200 Meter entfernten Fährhafen habe ich Glück, in 5 Minuten geht meine Fähre nach Shodo-Shima. Obwohl: Wie ich die Japaner kenne, war das kein Glück, sondern einfach ein abgestimmter Fahrplan. Nach einer Stunde Fahrt mit der Olive II der Olive-Line komme ich in Tonosho an, auch Olive-City genannt, der "Hauptstadt" von "Olive-Island".

Leider sind die Angaben im Internet zur Lage meines Ryokan, also Gasthauses, sehr vage und widersprüchlich. Mein Telefonat mit dem Gasthof scheitert, habe jemanden dran, der nur Japanisch spricht. Die Touristinfo ist nicht besetzt. Am Fährterminal kann mir niemand weiterhelfen, alle Leitungen zum kostenfreien Translator-Service des japanischen Touristenverbandes sind belegt. Also gut, in den sauren Apfel gebissen und einen Taxifahrer geweckt. Mann, hatte der einen tiefen Schlaf. Ich sitze also im Taxi und sage ihm, wo ich hin will. Nur Achselzucken. Also gebe ich ihm meine Mail mit der der Buchungsbestätigung. Mit dem Zettel klappert er erst einmal die anderen Taxen ab. 10 Minuten später geht es endlich los, aber nicht zur Unterkunft, sondern zur Taxizentrale. Dort hupt er wie wild, alle Taxifahrer im näheren Umkreis kommen zum Auto, niemand kennt aber das Ryokan Green Plaza- wahrscheinlich heißt es auf Japanisch ganz anders. Dann kommt mir ein Geistesblitz. Für genau diese Situation habe ich mit die Fotos aller Unterkünfte auf mein Netbook runtergeladen. Als ich das Foto den Taxifahrern zeige, geht ein geschlossenes "Aah" durch die Reihen. 10 Minuten später, 6 Kilometer entfernt, 1.900Y ärmer (1 Euro=100Y) , komme ich in meinem Ryokan an, einem ziemlich großen Schuppen.

Ich beziehe mein Zimmer "Japanese Style", immerhin mit "Stühlen". Die könnt ihr Euch ungefähr so vorstellen wie die alten Stühle in den Schulen, aber ohne Gestell, also nur die Sitzschale. Ich genieße den Ausblick, nehme mir mal Zeit, das Buch von Val McDermid zu Ende zu lesen, und gehe ins Onsen. Obwohl im Laufe des Tages drei Busgesellschaften eingetroffen sind, habe ich das Bad für mich alleine, der Rest der Meute ist beim Abendessen. Ich mache mich also wieder picobello sauber, bevor ich ins Wasser steige. Drei Becken, alle nicht tiefer als ca. 40 cm, stehen zur Verfügung, eines davon draußen. Das Hotel liegt direkt über dem Meer an einem Steilhang, links sieht man den Hafen von Tonosho, dem Hauptort der Insel, in ca. einem Kilometer Entfernung geradeaus das andere Ufer, rechts geht die Sonne unter, irgendwo zwischen dem rund einem Dutzend Inselchen, die dort liegen. Laut offizieller japanischer Statistik zählt dieser Sonnenuntergang zu den Top-3-Sonnenuntergängen Japans- die Japaner haben für alles und jedes eine Rangliste. Leider ist es sehr diesig, der Blick ist trotzdem toll. Als ich ins Wasser steige, komme ich mir allerdings vor, wie kurz vor der Kernschmelze. Wow, ist das heiß!

Danach geht es zum Abendessen, manches ist fertig am Tisch vorbereitet, anderes gibt es vom Buffet. Die drei Kellnerinnen kümmern sich rührend um mich und sorgen dafür, dass ich nicht verhungere. Interessanterweise sitzen 3/4 der Gäste nicht in normalen Klamotten am Tisch, sondern in ihrer Yukata, also dem Bademantel. Das Abendessen musste ich mir hart erkämpfen. Laut meiner Reisebestätigung war es inclusive, laut Hotelunterlagen nicht. Inzwischen bin ich weit genug gereist, um mich bei so etwas freundlich, aber bestimmt durchzusetzen.

Der Hotelchef macht mich, nachdem er das verdaut hat, darauf aufmerksam, dass um 19:45 Uhr noch etwas Besonderes stattfindet und weist auf eine riesige dicke Schale und zwei große Klöppel. "Oh, music?" frage ich. "Hai, hai!" bekomme ich zur Antwort. Das Dumme mit dem "Hai" ist, es kann "Ja" heißen oder aber auch "vielleicht", etwa, wenn man kein Wort versteht, was der Ausländer vor sich hin faselt.

Eine halbe Stunde später sitzen also 100 Leute um diesen großen Topf herum, schauen zu, wie der Koch einen Teig knetet und zwei Leute wie wild den Teig mit den großen Knüppeln verhauen. Diesen rohen Teig gibt es dann, in Sesam gewälzt, zum Verkosten. Ah ja. Ich sitze an einem Tisch mit 8 Japanerinnen älteren Semesters, bin im Raum der einzige Nicht-Japaner, deshalb meint es jeder gut mit mir. Nachdem ich mit meiner Portion zum Tisch zurückkomme, finde ich acht Schüsselchen mit rohem Teig vor mir am Tisch. Ups- hat mir doch jede der Damen etwas mitgebracht! Nachdem ich zwei Portionen verspeist habe, ohne wirklich zu verstehen, warum so ein Wirbel um diesen rohen Teig gemacht wird, versuche ich, mich möglichst unauffällig in mein Zimmer zu verziehen- soweit mir das als einziger anwesender Europäer möglich ist, der jeden Anwesenden um ein bis zwei Köpfe überragt.


14.11.2010: Mit dem Fahrrad durch die Ägäis

Da die Insel der einzige Ort Japans ist, wo Oliven gedeihen und wegen der zahlreichen Inselchen, nennen die Japaner diese Gegend auch gerne die griechische Ägäis bzw. Olive-Island.

An all das denke ich nicht, als um 6:50 das Telefon läutet. Ich hebe ab und werde von einem Schwall japanischer Worte zu Boden gestreckt. Verstehe kein Wort. Technischer k.o. in der ersten Runde. Ist der Fujiama ausgebrochen? Werde ich aus dem Hotel geworfen, weil ich gestern rohen Teig übrig gelassen habe? Ist ein Tsunami im Anrollen?

Schließlich holt der Anrufer seinen Chef ans Telefon, der mich auf Englisch darüber informiert, dass das Frühstück von 4:30 bis 7:00 Uhr serviert wird. Stimmt, hatte ich auf meinem Zettel glatt überlesen. Also nichts wie runter.

Als ich vom Frühstück komme, muss ich den Chef sprechen, zum einen möchte ich wissen, wo ich ein Rad leihen kann und zum anderen, ob und wenn ja, wie ich an meinen MP3-Player komme, den ich im letzten Hotel habe liegen lassen mitsamt Ladekabel und Adapter. Unangenehm. Das mit dem Rad klärt sich schnell, zur anderen Frage heißt es nur "Hai! Hai!" Oh Gott, schon wieder! Er führt ein Telefonat, ohne dass er nähere Infos erhalten hat. Ah, jetzt verstehe ich, er hat den Übersetzungsservice angerufen. Dort schildere ich alles noch mal im Detail. Falls die Sachen noch da sind, wäre es nur ein kleiner Umweg für mich, wieder ran zu kommen, müsste halt alle Sitzreservierungen umbuchen. Ich reiche das Telefon wieder dem Chef, der sich mit den ganzen "Hai" regelrecht überschlägt- sie hören sich aber schon ganz anders an. "Problem erkannt, Problem gebannt" oder so ähnlich. Noch ein Telefonat mit dem Hotel in Kurashiki und das Thema ist quasi abgehakt. Morgen um 7:30 Uhr, allerspätestens 7:35 Uhr soll alles absolut zuverlässig eintreffen. Wow!

Beim Verlassen des Hotels sind alle Zimmertüren offen, wo die Busreisenden übernachtet haben. Ich glaub mich knutscht ein Elch! Nur 8 Zimmer pro Etage sind "Japanese Style", alle anderen ca. 30 Zimmer je Etage mit Betten, Stühlen und Tischen ausgestattet, also "Western Style". Fehlt bloß noch, dass die Japaner klammheimlich im Lokal das Besteck rausholen, wenn die Ausländer weg sind!

Anschließend fährt mich der Chef zum Fährhafen und unterstützt mich beim Leihen eines Rades, das gerade mal 500Y für den Tag kostet. Um 17 Uhr lässt er mich wieder abholen.

An dem Tag fühlte ich mich zum zweiten Mal an eine Filmszene erinnert. Das erste Mal passierte es, als ich am WC saß und mal die ganzen Knöpfe probierte (dieses hatte 4 Regler und 12 Knöpfe). Da musste ich an den Film "Demolition Man" denken mit Sandra Bullock und Sylvester Stallone. Stallone hatte als Cop bei irgendeiner Befreiungsaktion in L.A. ein Gebäude in die Luft gejagt und wurde deshalb zur Strafe schockgefrostet, genauso wie die Verbrecher. Als es dann aber 30 Jahre oder so später große Probleme mit einem Verbrecher gibt, wird er aufgetaut. In den 30 Jahren hatte sich einiges verändert: U.a. gibt es kein Toilettenpapier mehr, sondern man "benutzt" Muscheln, womit Stallone nicht klar kommt, weshalb sich der Partner von Bullock, die eine Polizistin spielt, über ihn lustig macht: "Er weiß nicht, wie man die Muscheln benutzt!"



Bei meinem ersten Bergabfahren fühle ich mich heute zum zweiten Mal an einen Film erinnert, an "Die Goonies", einen Jugendfilm aus den 80ern. Hier sollen Familien ihre Häuser verlassen, weil dort ein Country Club gebaut werden soll. Die betroffenen Kids treffen sich zum (vermeintlich) letzten Mal und finden eine Schatzkarte vom "Einäugigen Willi". Der große Bruder des Hauptdarstellers soll darauf achten, dass sein Bruder wegen seines Asthmas nicht raus geht. Zum Suchen eines Schatzes muss man aber raus, also Bruder überlistet, die Luft aus dessen Rad gelassen und auf, den Schatz suchen! Der Bruder befreit sich und will hinterher, das einzige Rad, das er findet, ist so ein winziges mit Stützrädern. Ist ein Bild für Götter.



Ein ähnliches Bild muss ich wohl auch abgegeben haben, das Rad ist mindestens 30 cm zu niedrig für mich. Das merke ich vor allem, wenn es bergauf geht. Und die Insel ist verdammt hügelig. Eigentlich wollte ich die Insel umrunden, das schminke ich mir jedoch schnell ab, 70 km sind mit DEM Rad undenkbar. Also fahre ich zu einem Leuchtturm am Ende einer Halbinsel, Gesamtstrecke etwa 40 km. Tolle Landschaft, als ich von der Hauptstraße runterkomme, auch sehr schön zu fahren. Ich komme also beim Leuchtturm an, mache eine Pause, fahre los, es geht bergab, bin also etwas schneller unterwegs. Da passiert es, plötzlich scheppert es beim Vorderreifen- Mist, ich habe einen Platten!

Flickzeug gehört natürlich nicht zur Serienausstattung. Scheibenkleister. Also, was tun? Zunächst einmal schieben, in der Hoffnung, unterwegs ein größeres Fahrzeug anzuhalten, das mich ggf. mitnimmt. Auf den nächsten 10 Kilometern kommen gerade mal 11 Autos vorbei, davon 9 Kleinstwägen. Die beiden Kleinlaster halten nicht. Um 17 Uhr macht der Fahrrad-Verleih zu. Es ist 16:00 Uhr; wenn ich nicht bald eine Lösung finde, ist das nicht zu schaffen. Beim ersten Dorf, das ich nach 10 km zu Fuß erreiche, ist eine kleine Toyota-Werkstatt und sie hat sogar offen. Der Mechaniker lässt den Yaris links liegen und kümmert sich um mein Problem- wahrscheinlich bin ich sein erster ausländischer Kunde.

15 Minuten und 1.300Y später, ja ja, auch in Japan kostet Qualitätsarbeit Geld, kann ich weiterradeln. Nix mehr vom Rad steigen, wenn der Berg zu lang, die Beine zu schwer werden und meine Knie protestieren. Weiter, weiter! Um 16:58 Uhr komme ich schließlich bei der Station an. Oh ja, das Onsen heute Abend habe ich mir redlich verdient.

Ich verstehe zu begreifen, was sich unter dem Begriff "Demografischer Wandel" versteckt: Mit 10 Finger-System bekomme ich raus, dass der Mechaniker 81 Jahre alt ist und seine Mutter, die kassiert 99! Udo Jürgens hat Recht: Mit 66 Jahren, da fängt das Leben an...

15.11.10: Unterwegs im Zug

Heute verlasse ich bei strahlendem Sonnenschein und bester Sicht Shodo-Shima. So macht eine Fährüberfahrt richtig Spaß, auch wenn die See sehr unruhig ist. Das gleiche Spiel wie bei der Hinfahrt: Beim Ablegen wird ein Seemannslied gespielt. Aber nicht nur eines, sondern gleich eine halbe Stunde lang, u.a. (ja, im ernst!) "Auf der Reeperbahn, nachts um halb eins", war wohl von Hans Albers.



Mein MP3-Player ist auf die Minute pünktlich angekommen. Als ich das Ryokan verlasse, stehen alle Mitarbeiter draußen und winken mir zum Abschied. Bei den Bussen haben sie das nicht gemacht... Vielleicht sind sie ja auch nur froh, mich loszuwerden.

Von Takamatsu nach Okayama geht es wieder per Marine-Liner, einem Schnellzug, der auf einer Normalstrecke verkehrt. Von dort geht es auf der speziell ausgebauten Shinkansen-Strecke mit dem Hikari, dem zweitschnellsten Zug Japans und dem schnellsten, den ich verwenden darf, nach Hakata, bereits auf der Insel Kyushu gelegen. Von dort aus mit einem Kamome, einem Schnellzug auf der Normalstrecke nach Saga (der erste eher unbequeme Zug) und dann in die tiefste Pampa mit dem "One Man Turbo Train" (so ist der Zug auf der Seite beschriftet), erinnert ein bisschen an die alten Schienenbusse. Klappt alles reibungslos, von Hotel zu Hotel bin ich allerdings 8 Stunden unterwegs. Linker Hand meist das Meer, rechter Hand hoch aufragende Berge. Insbesondere die letzten Kilometer sind landschaftlich reizvoll.

Das Schöne beim Shinkansen: Extrem viel Platzfreiheit, interessanterweise 5 Sitze nebeneinander (Rolf, haben die eine andere Spurbreite?), alle 30 Minuten kommt eine Mitarbeiterin mit einem Wägelchen vorbei mit Essen und Trinken. Man kann auch etwas Warmes zum Essen bestellen, wird dann bei einem der restaurants im nächsten Bahnhof bestellt und an Bord gebracht. Probiere ich aus, eine halbe Stunde oder knapp 150 km vor Hiroshima bestellt, habe ich, kaum dass wir den Bahnhof Hiroshima verlassen, ein leckeres Curry für 650Y (knapp 6,50 Euro) am Tisch. Es kommt auch regelmäßig eine Mitarbeiterin mit einem Mülleimer vorbei.

Apropos Mülleimer. Als ich in den ersten Zug einsteigen will, ich stehe brav an der Markierung für den Wagen Nr. 1, hinter mir 10 oder 12 Leute, kommt mir eine Dame zuvor, versperrt den Eingang und fängt an, den Wagen sauber zu machen und alle Stühle umzudrehen (Japaner verfallen in Panik, wenn sie rückwärts fahren müssen). Inzwischen erfolgt vorne das Signal zum Losfahren. Ääh, hallooooo, wir wollen auch noch mit! Der Oberschaffner (oder wer das auch immer ist) erkennt, dass etwas schief läuft, sofort gibt er die Info zum Zugführer weiter. Ein wildes Gepfeife und Gerufe beginnt, 1 Minute später kommt ein 6-köpfiges Kommando, sieht, was Sache ist und unterstützt die Reinigungskraft beim sauber machen. Eine Minute später sollten wir reindürfen. Die nächste halbe Stunde kommt mehrfach Bahnpersonal bei mir vorbei, macht mehrere Verbeugungen und entschuldigt sich für die unerhörten drei Minuten Verspätung...

 Drei Haken hat die japanische Bahn allerdings: Es gibt kaum Platz zum Koffer abstellen- da sind die Züge der DB schon fast ein Paradies dagegen. Zum zweiten sind die normalen Bahnhöfe und die für den Shinkansen zwar im gleichen Gebäude, aber stets in einer anderen Etage (der Shinkansen fährt, je nach Bahnhof, im 2. bis 4. Stock ab) und räumlich weit getrennt; Rolltreppen sind oft nicht vorhanden und Lifte, soweit vorhanden, bestens versteckt. Zum Dritten: Die Türen für den Einstieg in den jeweiligen Wagen sind stets markiert. Wenn man des Japanischen unkundig ist, tut man sich aber sehr schwer, heraus zu bekommen, welche der 6 bis 10 verschiedenfarbigen Markierung für welchen Zug gilt. Aber glücklicherweise ist immer jemand da, den man fragen kann.


Beim "Yelow One Man Turbo Train" sollte ich das Kofferproblem zu spüren bekommen. Als ich einsteige, ist der Zug fast leer. Hier stehen die Sitze gegenüber. Es erscheint mir die beste Lösung, den Koffer zwischen die Sitze zu klemmen und mich daneben zu setzen. So benötige ich allerdings vier Sitzplätze. Auf halber Strecke steigen jedoch rund 100 Schüler ein. Jetzt muss ich mir etwas anderes einfallen lassen. Also stelle ich den Koffer neben den Eingang, er kann ja jetzt nicht mehr umfallen und biete die drei freien Sitze an. Erst will sich niemand setzen. Wie gesagt, die Japaner und vor allem die Japanerinnen sind sehr schüchtern. Schließlich trauen sich drei Mädels mit viel Kichern, dürften so 14-16 gewesen sein. Was mich echt erstaunt, ist ihr für japanische Verhältnisse gutes Englisch, müssen einen Lehrer haben, der nicht nur, wie in Japan üblich, Wert auf das Schriftliche legt. Wir kommen ins Gespräch. Englisch können sie zwar gut, aber dafür haben sie Schwächen in Erdkunde. Von "Germany" haben sie noch nie etwas gehört, obwohl ich es mit verschiedenen Aussprachevarianten probiere. In Karatsu verlasse ich den Bahnhof in Richtung Sonnenuntergang, die Schüler winken mir zum Abschied zu.

Keine 50 Meter vom Bahnhof entfernt liegt mein Hotel. Auch hier wird recht gutes Englisch gesprochen. Nachdem die Rezeptionistin max. 25 Jahre alt ist, gehe ich mal davon aus, dass sie den/die gleiche(n) Lehrer(in) hatte. Beim Einchecken fragt sie mich "Do you want to use the bus?" Mir ist zwar nicht ganz klar, wo mich der Bus hinbringen soll, auf Verdacht bejahe ich erst mal. "Then use the yukata (Bademantel), please. You will find it in the wardrobe!

In Osaka hatten sie mich gewarnt, dass die Leute im Süden etwas wunderlich sind. Aber dass sie nach dem Einchecken im Hotel im Bademantel Bus fahren? Oh Mann! In dem Moment dämmert es mir, das Wort war (a) falsch betont und (b) das tie-eitsch eher wie ein "s" ausgesprochen war. Klar will ich ins "bath", also den Onsen! Manchmal ist die Aussprache halt doch gewöhnungsbedürftig.

In Karatsu gibt es eigentlich nichts weiter zu sehen. Bleibt wohl das Geheimnis des Japan-Spazialisten, warum der meinte, ich müsse unbedingt hier her.


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